Verrechnungspreisdokumentation ständig bereithalten!
Bislang fast unbemerkt von der öffentlichen Diskussion wurden in der Nacht zum 11. November 2022 im Rahmen des „DAC 7 Umsetzungsgesetz“ vom Bundestag Änderungen der Abgabenordnung beschlossen, die für grenzüberschreitend tätige Unternehmen mit Tochtergesellschaften oder Betriebstätten in verschiedenen Ländern erhebliche praktische Verschärfungen mit sich bringen.
Ausweitung der Vorlagepflicht
Bislang mussten inländische Unternehmen nur anlässlich einer Betriebsprüfung damit rechnen, zur Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation aufgefordert zu werden. Zwingend war dies nicht, aber vom Gesetz vorgesehen. Und tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass das Vorlagebegehren so gut wie immer im Zusammenhang mit einer Außenprüfung gestellt wurde.
Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird nun aufgehoben. Vielmehr steht mit der Neuregelung die anlasslose Aufforderung zur Vorlage durch das Finanzamt – sei es im Rahmen der Veranlagung, sei es ohne jeden äußerlich erkennbaren Grund („Stichprobe“) – künftig gleichranging neben dem außenprüfungsbezogenen Vorlageverlangen:
Verkürzung der Vorlagefrist
Bislang hatte der Steuerpflichtige 60 Tage Frist, um nach dem mitgeteilten Verlangen die Verrechnungspreisdokumentation vorzulegen; Fristverlängerungen waren möglich. Diese Zeitspanne ist nun auf 30 Tage verkürzt worden. Sie entspricht damit der – unverändert gebliebenen – Frist zur Aufzeichnung der sogenannten außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle.
Vorverlagerung des Fristlaufs
Die Einhaltung der Frist war und ist bedeutsam, weil sich das Verzögerungsgeld von bis zu 100,- EURO pro Tag rasch zu einer schmerzhaften Summe aufaddieren kann. Daher ist der Beginn der Frist wesentlich.
Bislang begann die 90 Tage-Frist mit dem Eingang des ausdrücklichen Vorlageverlangens beim Steuerpflichtigen. Dies gilt zukünftig nur noch bei dem anlasslosen Vorlageverlangen. In Fällen der Betriebsprüfung beginnt die Frist jedoch bereits mit dem Zugang der Anordnung der Betriebsprüfung – selbst wenn darin die Verrechnungspreisdokumentation gar nicht erwähnt wird! Denn die Vorlagepflicht ergibt sich dann bereits aus dem Gesetz.
Eine Erhöhung der Zuschläge bei Unverwertbarkeit und des Tagessatzes bei verspäteter Vorlage ist in der Neufassung nicht vorgesehen.
Anlasslose Anforderung – ein Damoklesschwert?
Die Praxis wird zeigen, in welchem Umfang die Finanzverwaltung von der Gesetzesverschärfung Gebrauch machen wird, anlasslos anzufordern. Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass ein solches Verlangen seitens der Finanzbehörde keine wirkliche Prüfungspflicht nach sich zieht. Sie müsste nicht tätig werden (anders als z.B. bei der Anordnung einer Außenprüfung, der zeitnah die Aufnahme von Prüfungshandlungen folgen muss). Sollte letztlich die Dokumentation nach Vorlage finanzamtsseitig nicht (mehr) geprüft werden, hätte der Steuerpflichtige hiergegen zumindest nach der Rechtslage unter dem DAC 7 Umsetzungsgesetz vermutlich keine Handhabe („kein Anspruch auf ein Testat“). Die Erfolgsaussichten einer Untätigkeitsklage dürfte nicht allzu hoch sein.
Manche Unternehmen mögen froh sein, wenn die Finanzverwaltung sich dann nicht mehr meldet. Angesichts des personalen und sachlichen Aufwands, den die Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation erfordert hat, kann bei anderen aber durchaus Interesse an einer Klärung der steuerrechtlichen Beurteilung bestehen – auch wenn de jure daraus keine Rechtssicherheit für zukünftige Veranlagungszeiträume erwächst.
Jedenfalls wohnt dem anlasslosen Vorlageverlangen ein erhebliches Drohpotential inne.
Inkrafttreten
Die Neuregelungen werden ab dem 1. Januar 2024 wirksam.
Zusammenfassung
- Unternehmen werden ihren gesamten Dokumentationsprozess straffen und ständig aktuell halten, um der auf 30 Tage verkürzten Vorlagepflicht nachkommen zu können. Ein „Vorbereitetsein“ nur bezüglich der wesentlichen Teile (in praxi ist lediglich das sog. Master File bereits final) genügt nicht mehr. Konnte man unter der alten Rechtslage die letzten Passsagen – insbesondere der Sachverhaltsdokumentation – in den verbleibenden drei Monaten aktualisieren und den im Abgabezeitpunkt vorliegenden Gegebenheiten anpassen, ist dies zukünftig nicht mehr möglich.
- Wegen der Fristverkürzung wird es in vielen Fällen sogar dazu kommen, dass die Vorlagefrist bereits abgelaufen ist, bevor der Außenprüfer mit seinen Prüfungshandlungen begonnen hat.
- Wegen der Abkoppelung von Außenprüfung und Vorlageverlangen können auch Jahre angefordert werden, die der Außenprüfung (noch) nicht unterliegen. Eine chronologische Aufarbeitung ist daher nicht möglich.
- Die Unternehmen werden einen erheblichen, laufenden Aktualisierungsaufwand ihrer Verrechnungspreisdokumentation betreiben müssen. Die verbleibenden 12 Monate bis zum Inkrafttreten der Neuregelung sollte zur Implementierung einer entsprechenden compliance genutzt werden.